Mittwoch, 19. August 2015

Was ist die: Herz Raten Variabilität?



Herzratenvariabilität kopiert aus 


/http://www.hrv24.de/



Ob wir einen schweren Sack tragen müssen, ein stehen gebliebenes Auto schieben, beim Knall einer Tüte einen Schreck bekommen, uns in einer Prüfung konzentrieren – immer reagiert der ganz Körper mit. Jeder weiß aus eigener Erfahrung, dass dann das Herz spürbar zu klopfen, mitunter sogar zu „rasen“ scheint. Was manchen nervös machen kann (das deutliche Pochen in der Brust), ist jedoch eine ganz normale „Anpassungsreaktion“ und Zeichen von Gesundheit. Krank ist man erst dann, wenn sich das Herz nicht mehr „flexibel“ äußeren oder inneren Belastungen (sprich: „Stress“) anpassen kann (Wenn das Herz beim Treppensteigen nicht ausreichend pumpt oder in entspannten Situationen unaufhaltsam rast, dann stimmt etwas nicht mehr).
Bei gesunden (anpassungsfähigen) Menschen arbeitet das Herz wie ein High-Tech-Instrument mit doppelter Funktion: Während es supersensibel und ununterbrochen äußere und innere Signale registriert, reagiert es gleichzeitig und unmittelbar auf die „Messergebnisse“ mit fein abgestimmten Veränderungen („Variationen“) der Herzschlagfolge. Dieses Phänomen nennt man „Herzratenvariabilität“, abgekürzt „HRV“. Manche sprechen auch von „Herzfrequenzvariabilität“. Um dem internationalen Sprachgebrauch („heart rate variability“) Rechnung zu tragen und sprachliches Durcheinander zu vermeiden, wird hier die Bezeichnung Herzratenvariabilität bevorzugt. Die HRV beschreibt also die Fähigkeit des Herzens, den zeitlichen Abstand von einem Herzschlag zum nächsten laufend (belastungsabhängig) zu verändern und sich so flexibel und rasant ständig wechselnden Herausforderungen anzupassen. Damit ist sie ein Maß für die allgemeine Anpassungsfähigkeit („Globalfitness“) eines Organismus an innere und äußere Reize.
Wem dies noch zu abstrakt klingt, dem ermöglicht vielleicht das folgende Bild aus der Technik eine gewisse Vorstellung: Das Herz ähnelt in seiner Leistungsfähigkeit einem Auto mit vielen „Gängen“. Je nach Verkehrssituation (Beschleunigen bei einem Überholmanöver, Abbremsen in einer gefährlichen Kurve oder wenn sich der Abstand zum Vordermann verringert) kann das Auto durch Tritt auf das Gas- bzw. Bremspedal beschleunigt oder verlangsamt werden. Wie gut so etwas gelingt, hängt nicht zuletzt von der Zahl der zur Verfügung stehenden „Gänge“ (Zahnradübersetzungen) ab. Ein Fahrzeug, das nur über die beiden mittleren Gänge (zwei und drei) verfügt, hat weitaus weniger „Variabilität“ in seinen Fahreigenschaften als eines mit vier oder mehr Gängen: Es wird sowohl bei steilen Bergtouren als auch beim schnellen Fahren in der Ebene erhebliche Schwierigkeiten haben.
Ähnlich ist es beim Herzen, wenn dessen HRV eingeschränkt ist. Menschen mit eingeschränkter HRV funktionieren deshalb nur in einem engen Bereich und werden durch größere „Lebensschwankungen“ rasch überfordert. Sie erleben dies als „Stress“, also als Missverhältnis zwischen momentanen Anforderungen („Störsignalen“) einerseits und den zur Verfügung stehenden Bewältigungsmöglichkeiten andererseits.
Menschen, bei denen dies nicht so gut funktioniert, deren HRV also eingeschränkt ist, entwickeln in einem deutlich höheren Prozentsatz über kurz oder lang gravierende Gesundheitsstörungen wie Herzkrankheiten, Depressionen, Neuropathien (Nervenentzündungen), Krebs. Eine ausreichend große HRV scheint also ein Hinweis auf Gesundheit zu sein (insbesondere auf die derzeitige Fähigkeit eines Organismus, angemessen auf dauernd wechselnde innere und äußere Belastungen reagieren zu können). Nach Michael Mück-Weymann ist sie möglicherweise ein „Globalindikator für Schwingungsfähigkeit (Resonanzfähigkeit) und Adaptivität bio-psycho-sozialer Funktionskreise im Austausch zwischen Organismus und Umwelt.“ Nach diesem Konzept würde die HRV wie ein „Puffer“ („Interface“) wirken, der dem Organismus vielfältige Interaktionen mit der inneren und äußeren Umwelt erleichtert (oder in der Techniksprache: Reibungsverluste verringert). Besserungen bei den oben genannten Erkrankungen gehen meist mit Verbesserungen der HRV einher. Interessanterweise sind rein psychotherapeutische Behandlungen in der Lage, die HRV ähnlich gut wie Medikamente zu beeinflussen. Dies überrascht insofern nicht, als die meisten Psychotherapiemethoden darauf abzielen, die Anpassungsfähigkeit von Patienten an innere und äußere Belastungen zu verbessern, indem sie den Patienten mehr Wahlmöglichkeiten eröffnen (zu denken, zu handeln, zu erleben) eröffnen. Selbstverständlich verbessert auch (Ausdauer)Sport die HRV.
Exkurs zur Klarstellung: „Anpassungsfähigkeit“ hat nichts mit „Willenlosigkeit“, „Schleimerei“, „Duckmäusertum“ usw. zu tun. Unser Körper „passt“ sich ständig an (z.B. an Hitze und Kälte, Tag-Nachtrhythmen und vieles mehr), sonst könnten wir nicht überleben. „Anpassung“ kann in zwei Richtungen erfolgen: Wenn man versucht, andere oder anderes sich gleich zu machen, spricht man von „Assimilieren“. Wenn man sich selbst anderen oder anderem anpasst, nennt man dies Adaptieren. Menschen, die über beide Fähigkeiten verfügen, sind vermutlich am erfolgreichsten. Wer nur assimiliert, erscheint anderen leicht als „Diktator“ oder „stur“, wer sich nur adaptiert, wirkt schnell „profillos“ und „ohne Charakter“.  
"Variabilität" ist nicht nur eine Eigenschaft des Herzens, sondern ein Lebensprinzip schlechthin. So findet man beispielsweise bei depressiven Menschen nicht nur eine eingeschränkte HRV, auch die Stimmfunktionen dieser Personen sind weniger variabel, wie neuere Untersuchungen zeigen

Begriff
Erklärung
Autonome Neuropathie
Nervenstörung der inneren Organe.
Die Autonome Neuropathie gehört zu den Folgeerkrankungen des Diabetes mellitus und äußert sich in Funktionsstörungen der inneren Organe. Von den häufig unspezifischen Symptomen können alle Organsysteme betroffen sein, wie z.B. Magen-Darm-Trakt (Magenentleerungsstörungen, Übelkeit), Herz (Verringerung der Herzfrequenzvariabilität), Sexualorgane (erektile Dysfunktion), Blase (Entleerungsstörungen).
Autonomes Nervensystem (ANS)
Kontrolle und Koordination der Funktionen, die das innere Milieu des Körpers an externe und interne Belastungen anpasst.
Das ANS besteht aus den Anteilen Sympathikus, Parasympathikus und Darmnervsystem. Nicht willentlich beeinflussbar. Auch vegetatives Nervensystem genannt.
Biofeedback
Körperliche Funktionen kontinuierlich zurückmelden (optisch, akustisch, taktil). Positive Veränderungen werden verstärkt, so dass gewünschtes Verhalten erlernt wird.
Hauptziel: Entwicklung von Selbstkontrolle über körperliche Vorgänge. Anwendung ohne negative Nebenwirkungen.
Deep breathing test
Atemtest mit tiefer Atmung und 6 Atemzügen pro Minute (s. RSA). Dauer: 1 Minute. Test der parasympathischen kardialen Funktion und der Baroreflexsensitivität.
Herzkohärenz
Regelmäßiger Wechsel zwischen Beschleunigung und Bremsen des Herzschlags.
Bei Stresszuständen, Angst, Depression oder Ärger wird der Rhythmus des Pulses ungleichmäßig, bzw. chaotisch. HRV-Biofeedback in Verbindung mit positiven Emotionen führen zur Synchronisation innerer Rhythmen, wie Atmung und Herzschlag.
Kurzzeit-HRV
HRV-Messung von 2-15 Minuten
Langzeit-HRV
HRV-Messung über 12-24-Stunden
Respiratorische Sinusarrhythmie (RSA)
Atemsynchrone Schwankung der Herzfrequenz. Ausgedrückt in Schlägen pro Minute oder Millisekunden (siehe E-I)
Spektralanalyse
Längere Messzeiten erlauben eine Spektralanalyse des Herzfrequenzverlaufs (Interpolation und FFT-Analyse). Das resultierende Spektrogramm stellt dar, welche Frequenzen im Herzfrequenzverlauf in welcher Amplitude auftreten.
Valsalva-Manöver
Versuchtes Ausatmen über 15-20 Sekunden gegen die verschlossene Stimmritze oder gegen ein Ventils (Druck von 40mmHg). Evaluation der sympathischen und parasympathischen Antwort.
Parameter
Abk.
Einheit
Definition
Bemerkung
5-min-total power

ms
Varianz der RR-Intervalle über das Zeitintervall
Biologisches HRV-Alter

Jahre
Zur Bestimmung wird das Alter berechnet, bei dem genau 50% der gesunden Probanden bessere und 50% schlechtere HRV-Werte in der RSA-Messung haben. Für die Berechnung werden E-I, E/I, MCR und RMSSD herangezogen
E-I Differenz (HF)
E-I
S/min
Differenz der höchsten und niedrigsten Herzfrequenz eines Atemzyklus
Aufgrund der Berechnungsbasis mittels medianer Werte sind E-I und E/I relativ robust gegen Artefakte
E-I Differenz (RR)
E-I
ms
Differenz des größten und kleinsten RR-Abstands eines Atemzyklus
Aufgrund der Berechnungsbasis mittels medianer Werte sind E-I und E/I relativ robust gegen Artefakte
Mittlere E-I Differenz (RR)
E-Imean
S/min
Mittlere Differenz des Maximums und Minimums der Herzfrequenz aller Atemzyklen
Mittlere E-I Differenz (RR)
E-I Quotient (HF)
E/I
S/min
Quotient der höchsten und niedrigsten Herzfrequenz eines Atemzyklus
Aufgrund der Berechnungsbasis mittels medianer Werte sind E-I und E/I relativ robust gegen Artefakte





E-I Quotient (RR)
E/I
ms
Quotient des größten und kleinstes RR-Abstands eines Atemzyklus
Aufgrund der Berechnungsbasis mittels medianer Werte sind E-I und E/I relativ robust gegen Artefakte
Herzfrequenz, mittlere
HFmean
S/min
Durchschnittliche Herzfrequenz während der Messung.
High frequency-Band
HF-Band
Hz
Leistungsdichtespektrum von >0,15  bis 0,40 Hz
Frequenzen im HF-Band werden dem Parasympathikus als Ursache zugeordnet
Low frequency-Band
LF-Band
Hz
Leistungsdichtespektrum von >0,04 bis 0,15 Hz
Dieser Bereich wird auf sympathische als auch auf parasympathische Aktivität zurückgeführt. Parasympathische Einflüsse vor allem bei niedriger Atemfrequenz (<7 Atem-züge/Minute). Des Weiteren ist dieser Frequenzbereich repräsentativ für baro-rezeptorische Aktivität. Die sogenannte Baroreflexschleife weist eine intrinsische Frequenz von etwa 0,1 Hz auf.
LF/HF-Ratio


Verhältnis des LF-Bands zum HF-Band
Oft als Ausdruck der vegetativen Balance von Parasympathikus und Sympathikus bezeichnet. Trifft nur bedingt zu. HF-Bereich ist zuverlässig dem Parasympathikus zuzuordnen, der LF-Bereich enthält sowohl sympathisch, als auch parasympathisch vermittelte Regulationen. Je höher der Wert, desto mehr Sympathikusaktivität.
Mean circular resultant
MCR

Der MCR stellt einen Vektor dar, dessen Betrag gut mit der Größe der resp. Sinusarrhythmie korreliert und der relativ unempfindlich auf Ausreißer und Artefakte ist. Siehe auch: Weinberg CR und Pfeifer MA, 1984
Mittlerer RR[1]-Abstand
RRmeanAvgRR
ms
Mittlerer Abstand aller RR-Intervalle
Parameter
Abk.
Einheit
Definition
Bemerkung
pNN50

%
Prozentsatz aufeinanderfolgender RR-Intervalle, die sich um mehr als 50ms voneinander unterscheiden. Indikator der parasympathischen Aktivität.
Power HF-Band

ms2
Leistungsdichtespektrum von >0,15  bis 0,40 Hz
Hauptsächlich dominiert durch das parasympathische Nervensystem
Power LF-Band

ms2
Leistungsdichtespektrum von >0,04 bis 0,15 Hz
Power VLF-Band

ms2
Leistungsdichtespektrum von 0,00 bis 0,04 Hz
Hauptsächlich dominiert durch das sympathische Nervensystem
Rel. Power HF-Band

%
Prozentualer HF-Anteil am Gesamtspektrum
Rel. Power LF-Band

%
Prozentualer VLF-Anteil am Gesamtspektrum
Rel. Power VLF-Band

%
Prozentualer VLF-Anteil am Gesamtspektrum
Rhythmi-sierungsgrad


Quantifizierung von "Qualität" und "Quantität" der resp. Sinusarrhythmie
"Quantität" meint dabei die Größe (Amplitude) der resp. Sinusarrhythmie, "Qualität" drückt aus, ob neben der resp. Sinusarrhythmie noch weitere Regelprozesse in der Herzfrequenz sichtbar sind
RMSSD

ms
Quadratwurzel des quadrierten Mittelwerts der Summe aller Differenzen sukzessiver RR-Intervalle
RMSSD drückt aus, wie stark sich die Herzfrequenz von einem Herzschlag zum nächsten ändert. Indikator der parasympathischen Aktivität. Fehleranfällig bei Artefakten und Rhythmusstörungen.
RR-Abstand, mittlerer

ms
Durchschnittliches RR-Intervall aller Herzschläge der Messung
RSA

S/min oder ms
Atemsynchrone Schwankung der Herzfrequenz. Ausgedrückt in Schlägen pro Minute oder Millisekunden (siehe E-I)
SD1
SD1
ms
Standardabweichung der orthogonalen Abstände der RRi/RRi+1 –Punkte zum Querdurchmesser der Ellipse
Breite der Punktwolke; sensitiver zu schnellen, höher frequenten Änderungen der Herzfrequenz.
SD2
SD2
ms
Standardabweichung der orthogonalen Abstände der RRi/RR-Punkte zum Längsdurchmesser der Ellipse
Länge der Punktwolke; quantifiziert die Langzeit-HRV.
SDANN
SDANN
ms
Standardabweichung der durchschnittlichen RR-Intervalle aller 5-min-Segmente einer Messung
SDNN
SDNN
ms
Standardabweichung aller RR-Intervalle einer Messung (Gesamtvariabilität)
SDNN Index
SDNN Index
ms
Mittelwert der Standardabweichungen der durchschnittlichen RR-Intervalle aller 5-min-Segmente einer Messung
SDSD
SDSD
ms
Standardabweichung der Differenzen aufeinanderfolgender RR-Intervalle
Standardabweichung
SD, StDev

Ausmaß der Streuung von Messwerten um einen Mittelwert




Parameter
Abk.
Einheit
Definition
Bemerkung
Stress Index[2]
SI

Mathematische Beschreibung des Histogramms (Siehe auch Baevsky (1997, 2007)
D = der am häufigsten auftretende Wert einer gegebenen dynamischen Reihe
nD = Häufigkeit, stellt die Anzahl der dem Modalwert entsprechenden RR-Intervall aller Messwerte einer Stichprobe da
MaxRR - MinRR = Variabilitätsbreite der untersuchten Reihe
Total Power
TP
ms2
Quantifizierung der Gesamtleistung über alle Frequenzbänder
Valsalva-Ratio


Quotient aus längstem RR-Intervall nach Ende des Pressmanövers (reflektorische Bradykardie) und kürzestem RR-Intervall während des Pressmanövers.

Variationskoeffizient
VK, VC
%
Ausmaß der Streuung von Messwerten um einen Mittelwert
Very low frequency-Band
VLF
Hz
Leistungsdichtespektrum von 0,00 bis 0,04 Hz
Weitere zentralnervöse Quellen der Herz-Regulation sichtbar.
[1] RR =NN (normal to normal)
 
[2]  Nach Baevsky (1997, 2007)
 


Referenzen
Baevsky RM: Noninvasive methods in space cardiology. J Cardiovasc Diagn Proced 1997; 14 (3) 161-71.
Baevsky RM et al: Autonomic cardiovascular and respiratory control during prolonged spaceflights aboard the International Space Station. J Appl Physiol. 2007;103 (1) 156-61
Hottenrott  K: Grundlagen zur Herzfrequenzvariabilität und Anwendungsmöglichkeiten im Sport. In: Hottenrott, K. (Hrsg.) Herzfrequenzvariabilität im Sport. Prävention – Rehabilitation – Training. Czwalina Verlag Hamburg. 2002
Löllgen D, Mück-Weymann M, Beise RD: The deep breathing test: Median based E-I difference is the measure of choice. Muscle Nerve 2009;39:536-44. 
Rief W, Birbaumer N: Biofeedback. Grundlagen, Indikationen, Kommunikation, praktisches Vorgehen in der Therapie. 2. Auflage. Schattauer. Stuttgart – New York. 2006
Task Force of the European Society of Cardiology and North American Society of Pacing and Electrophysiology Circ 1996; 93:1043-65.
Weinberg CR, Pfeifer MA: An improved method for measuring heart rate variability: assessment of cardiac autonomic function. Biometrics. 1984;40:855-61.
 

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